Rechtsanwalt Reinecke ist Prozessvertreter im Verfahren vor dem Berliner Verwaltungsgericht wegen Kirchensteuerforderung gegen eine in der DDR aufgewachsene atheistisch erzogenen Frau, die nie wusste, dass sie überhaupt in der Kirche ist. Sie wusste nur, dass ihre Eltern aus der Kirche ausgetreten waren.
Das Thema wurde umfangreich in der Presse kommentiert, hervorgehoben sei die Berichterstattung in SPIEGEL und hdp. Auf hpd hat die Klägerin selbst sich zu dem kaum nachvollziehbaren Urteil geäußert, dessen schriftliche Begründung bis heute (12.1.2020) nicht vorliegt. Es spricht viel dafür, dass das Urteil angefochten wird, geht es doch u.a. um eine völlig neue Sicht auf die Frage was „freiwillig“ ist. Dass es keine Zwangsmitgliedschaft in der Kirche geben darf, räumt sogar die Kirche ein. Während aber der normale Mensch denkt, dass der freie Wille nur dort gebildet werden kann, wo Alternativen erkennbar sind, ich also eine Entscheidung über die Mitgliedschaft nur treffen kann, wenn ich weiß, dass ich in der Kirche bin, ist man nach Meinung der Kirche schon dann „freiwillig“ Mitglied, wenn man nicht im Taufregister seiner Geburtsstadt nachforscht, ob man als Säugling getauft wurde. So wird die Untätigkeit bei der Nachprüfung zum freien Willen des Verbleibens in der Kirche umgedeutet, selbst wenn man atheistisch erzogen wurde und gelebt hat. Erfreulich selbst bei bisherigem Prozessverlust: der Imageschaden für die evangelische Kirche ist deutlich höher als der Gewinn an Kirchensteuer, was den Theologen Dierk Schäfer zu dem Blogbeitrag veranlasste: „Eine Kirche, die solche Juristen hat, braucht keine Feinde“. Wir sind im übrigen guten Mutes, dass wegen der enormen Verfahrensverzögerung (4 Jahre zwischen Klage und Verhandlung) die Klägerin vom Land Berlin eine Entschädigung nach § 198 GVG erhalten wird.
Update: Wie aus einer juristischen Niederlage ein politischer Sieg werden kann, kann man hier nachlesen. Die Mandantin musste nicht nachzahlen und nach unseren Beobachtungen hat die Kirche ihre Rasterfahndung nach getauften Säuglingen eingestellt.
Eberhard Reinecke